Fußball und Glücksspiel: Rote Karte für „Alles auf Rot“?

Die Präsenz von Glücksspielanbietern im deutschen Fußball ist längst nicht mehr zu übersehen. Sei es, weil ehemalige Nationalspieler prominent als Werbeträger der Branche platziert werden oder weil gleich mehrere Vereine mit Wettanbietern auf der Brust oder dem Ärmel auflaufen. Ist das problematisch? Ist Sponsoring aus dem Glücksspielbereich gar unmoralisch? Dürfen die das überhaupt? Und um welche Summen geht es eigentlich? Der folgende Debattenbeitrag sucht nach Antworten auf diese Fragen. Der beste Wurf mit Würfeln ist, diese wegzuwerfen. So heißt es zumindest in einem englischen Sprichwort und selbstverständlich weiß jeder Mensch, dass am Ende immer die Bank gewinnt, wie auch etwa Gerhard Schick sarkastisch über die Bankenbranche spricht. Nichtsdestotrotz übt Glücksspiel einen großen Reiz aus, der im besten Fall ignoriert wird und im schlechtesten Fall den Glücksritter in den finanziellen und gesellschaftlichen Abgrund stürzt. Eine Auszahlungsquote von weit über 90 % bei Automaten-Spielen ist online zwar üblich, führt auf Dauer jedoch immer zum Totalverlust. Bei ca. 500.000 Menschen in Deutschland wird das Spielverhalten als kritisch angesehen. Lotto, Automaten, Spielbanken, Wetten – das große Geld winkt, der Kunde muss nur darüber in Kenntnis gesetzt werden und am besten macht man dies mit Werbung. So ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen eine Vielzahl von Wettanbietern ihre Fühler nach dem glücksspielaffinen Fußballfan ausstreckt und das umfangreiche Angebot im deutschen Profisport auf Werbebanden, Trikots und Ärmel zur Schau stellt. Ein ganz normaler Sponsor, ein unmoralisches Produkt oder gar eine Gefahr für den Fußball? Auf diese Frage möchte ich in diesem eingehen, um eine Diskussion zu Sponsoren aus dem Glücksspielbereich anzuregen. Dabei wird zunächst auf den Status Quo geblickt, gefolgt von einer Sammlung von Pro- und Contra-Argumenten. Anschließend wird in eine mögliche Zukunft geschaut, um am Ende mit einem Vorschlag zum Umgang mit der Thematik einen Anreiz zu schaffen, um über das Thema Glücksspiel, Wetten und Fußball zu diskutieren. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf privatwirtschaftliche Unternehmen, die Geld mit dem Online-Angebot von Wett- und Automatenspielen verdienen. Ausgenommen davon ist somit das staatliche Lotto. In diesem Text wird weiterhin auf die scharfe Trennung zwischen Wett- und Automatenspielen verzichtet, da deutsche online Casinos in der Regel beides anbieten. Es sei aber an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass im Profisport normalerweise das Wettangebot im Fokus steht, man jedoch bei der Nutzung früher oder später auch mit dem dazugehörigen Online-Casino in Berührung kommt.

Typisches Angebot eines Online-Casinos

  1. Sportwetten: Man spielt allein, setzt Geld auf ein ungewisses Ereignis und die Entscheidung über den Gewinn fällt mit dem Sportereignis.
  2. Poker: Man spielt gegen mehrere Gegner eine Variante des Kartenspiels Poker.
  3. Automatenspiele: Man spielt allein, setzt Geld auf ein ungewisses Ereignis und die Entscheidung über den Gewinn fällt binnen Sekunden, z.B.: Roulette, Slots, Blackjack.

An dieser Stelle weisen wir darauf hin, dass Glücksspiel süchtig machen kann. Infos und Hilfe gibt es unter bzga.de.

Die Sichtbarkeit von Online-Casinos steigt

Bastian Schweinsteiger war schon immer ein beliebter Werbeträger. Doch statt mit Junkfood fällt er neuerdings mit Anzeigen für die deutsche Automatenwirtschaft auf, die sich mit ihm im Boot als besonders fair im Kontrast zu den zahlreichen Online Casinos präsentieren möchte. Ein möglicher Anlass für diese Werbemaßnahme ist das wachsende Konkurrenz-Angebot im Internet. Die Digitalisierung macht auch vor der Glücksspielindustrie nicht halt. Slots, Roulette und Blackjack sind längst online verfügbar und der Markt wächst. 43 Millionen Euro geben Glücksspielanbieter jährlich für das Sponsoring im deutschen Profisport aus, Tendenz steigend. Dabei landet der Großteil des Geldes beim Fußball. Schon in der 3. Liga geht es los. „bwin“ ist dort Hauptpartner der Liga und lässt sich das geschätzt etwas mehr als zwei Millionen Euro pro Jahr kosten. Doch damit nicht genug. Der Konkurrent „sunmaker“ ziert bei drei Mannschaften die Trikotfront und bei einem weiteren Team den Ärmel. Kostenpunkt: Vermutlich etwas mehr als eine Million Euro im Jahr. In den beiden Bundesligen werden diese Werte noch einmal getoppt, gut 15 Millionen Euro werden es in der Saison 2020/21 sein. Hier taucht ein weiterer Wettanbieter auf: Marktführer „tipico“. Dieser schmückt sich mit Ex-Nationaltorhüter und Bayern-Star Oliver Kahn als Testimonial und investiert geschätzt ca. zehn Millionen Euro, um bei Bayern München und der DFL als Sponsor aufzutreten. Auffallend ist hier, dass sich der größte Anbieter von Wetten auf die Schwergewichte des deutschen Fußballs stürzt, im Gegensatz zu den Nummern zwei und drei, die beide mit der Gießkanne möglichst viele Vereine unterstützen. Nicht außer Acht zu lassen sind weiterhin die umfangreichen Werbemaßnahmen für einschlägige Angebote beim Pay-TV-Sender Sky. Die Fragen, die zwangsläufig kommen müssen, lauten: Dürfen die sich mit ihrem Produkt in irgendeiner Form beim Fußball präsentieren? Und: Ist Online-Glücksspiel überhaupt legal? Wirft man einen Blick auf die Impressen, fällt zunächst auf, dass die großen Drei in Malta oder Gibraltar residieren, wo sie auch eine Lizenz erteilt bekommen haben. Was in der EU erlaubt ist, sollte auch in Deutschland in Ordnung sein, oder? Leider ist dies nicht ganz so einfach. Der hierzulande 2012 in Kraft getretene Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) zwischen den 16 Bundesländern untersagt zunächst Online-Glücksspiel, allerdings hat sich Schleswig-Holstein diesem Vertrag ursprünglich nicht angeschlossen und sogar eigene Lizenzen – auch an Wettanbieter – verteilt. Eine Änderung der gesamtdeutschen Regelung scheiterte 2018. Allerdings operieren wir mit dem aktuellen gesetzlichen Rahmen in einer Grauzone, da der GlüStV höchstwahrscheinlich gegen EU-Recht verstößt. Dass man mit der unübersichtlichen Situation nicht zufrieden ist, sieht man daran, dass Hessen bis zum Ende des Jahres 2019 auf eine Neuregelung pocht. Ob diese kommt, steht in den Sternen. Überraschenderweise gab es trotz der unklaren Rechtslage Anfang März einen Brief der deutschen Aufsichtsbehörden an den DFB, in dem man „keinen Raum für Zweifel an der Rechtswidrigkeit“ äußerte. Die Werbetreibenden und die Werbeträger bewerten dies anders, bzw. äußerten sich gar nicht.

Fußball, Wetten und Glücksspiel passen wunderbar zusammen

Fußball ist Emotion pur, eine große Begründung dafür benötigt niemand, der schon einmal in der letzten Minute der Nachspielzeit den Siegtreffer der eigenen Mannschaft bejubeln durfte. Beim Wetten weitet man dieses Gefühl gewissermaßen auf Mannschaften aus, die einem unter normalen Umständen egal wären. Wie euphorisierend das wirken kann, wenn Werder Bremen in letzter Sekunde trifft, auch wenn einen der Verein sonst nicht interessiert, konnte man letztes Jahr bei einem modernen Wettmärchen sehen. Ein Wett-Enthusiast aus Herne platzierte einen Euro in einer aberwitzigen Kombiwette, stand am Ende mit einer Viertelmillion Euro Ertrag da und fuhr voller Freude am selben Tag noch nach Bremen, um sich bei dem Spieler zu bedanken, der das entscheidende Tor in der 96. Minute geschossen hatte. Der Gefühlsausbruch beim Gewinn dieser Wette ähnelt sicherlich dem bei einer Last-Minute-Meisterschaft. Des Weiteren sind Fußballklubs inzwischen Wirtschaftsunternehmen, manchmal formal in der Hand eines e.V., aber insgesamt geht es vordergründig darum, Geld zu verdienen. Ob einem da alle Geldgeber recht sein können, muss jeder für sich selbst entscheiden, aber da es keinen spürbaren Protest oder Kritik der Fans gibt, wie z.B. bei Gazprom auf Schalke oder Wiesenhof in Bremen, scheint es auch für den Großteil der Kunden unproblematisch zu sein. Es ist auch nicht nötig, ein Problem zu sehen, wo niemand sonst eins sieht.

Der Fußball hat eine gesellschaftliche Verantwortung

Glücksspiel zerstört Existenzen. Dafür Werbung zu machen, ist unmoralisch, vielleicht so unmoralisch wie Zigarettenwerbung, welche in Deutschland aus gutem Grunde immer weiter zurückgedrängt wurde und nun kaum mehr präsent ist. Fußball und Moral verhalten sich zwar manchmal wie Feuer und Wasser, aber an anderen Stellen übernimmt die Branche auch Verantwortung und spricht sich gegen Rassismus aus oder verzichtet auf Trikotwerbung für Getränke mit mehr als 15 Prozent Alkoholgehalt. Darüber hinaus müssen wir über Spielmanipulationen sprechen: Der Skandal um Robert Hoyzer 2005, der Wettskandal 2009, Razzien in Belgien 2018 oder die Vorwürfe in der Regionalliga Nordost im Winter 2018/2019. Betrogen wird immer, da hilft auch kein engmaschiges Monitoring. Zwar eröffnen sich mit einem Wettanbieter im Haus zunächst einmal nur mehr Kontaktpunkte zwischen Spielern und Online-Casinos. Aber was ist, wenn ein Wettanbieter als Investor mit einsteigt, Anteile an der Kapitalgesellschaft erwirbt und vielleicht sogar Vertreter in Vereinsgremien entsendet? Dass bei einem CEO eines Wettanbieters im Vorstand oder Aufsichtsrat eines Fußballclubs nicht sofort der Wettbetrug losgeht, ist klar, aber ein negativer Beigeschmack bleibt durchaus. Hinzu kommen die Verlockungen des Glücksspiels für Fußballer. Profis sind zwar in ihren Verträgen mit einem Wettverbot (auch über Dritte) belegt, allerdings sieht Uli Borowka (ehemaliger Profi und Gründer vom Verein “Uli Borowka Suchtprävention & Suchthilfe e.V.”) Spielsucht als größtes Problem für Spieler an. Der Grund: Wettanbieter offerieren neben dem für Spieler verbotenen Wettspiel online auch Automatenspiele. Darüber hinaus findet das Wettverbot in den unteren Ligen keine Anwendung. Daraus ergeben sich immer wieder Verlockungen für Amateure.

Der Blick des risikobewussten Managers in die Zukunft

Im Folgenden nehme ich die Perspektive eines Entscheidungsträgers in einem Verein ein, der die Möglichkeit hat, sich einen Glückspielanbieter als Geldgeber ins Haus zu holen. In der Realität werden vermutlich mehrere Szenarien entworfen, sowohl positive als auch negative. Hier blicke ich auf ein kritisches Szenario, um das Risiko besser einschätzen zu können. Ich nehme an, dass sich Verbände oder Fans in absehbarer Zeit nicht an Geldgebern aus dem Glücksspielbereich stören werden und der Gesetzgeber den Weg der Deregulierung einschlägt, auch in Hinblick auf das geltende EU-Recht. Dies führt zu einem weiteren Anstieg von Werbung für Wetten und Glücksspiel im Profifußball. Ich setze somit auf einen Sponsor in einem Markt, den ich als dynamisch wachsend und erfolgsorientiert wahrnehme. Aus der Historie ist bekannt, dass jeder Boom einmal endet. Ein möglicher Grund für einen Einbruch im Glücksspielsegment wäre ein Skandal, welcher auf die ganze Branche ausstrahlt. Denkbar wäre hier die Insolvenz eines Unternehmens und das Verschwinden von großen Geldmengen der Kunden. Ich bekomme sehr große Probleme, wenn unser Sponsor zu diesem schwarzen Schaf der Branche wird. In diesem Moment hätte unser Verein durch den Wegfall eines Sponsors mit erheblichen finanziellen Herausforderungen zu kämpfen und sähe sich negativer Presse konfrontiert. Wäre ich bereit, dieses Risiko einzugehen? Die Antwort auf die Frage würde man nun in einem zweiten Schritt der Analyse, wie so oft, abhängig vom gebotenen finanziellen Engagement des Glücksspielanbieters machen.

Mein persönlicher Wunsch zum Abschluss: Regulierung ist nötig

Für mich dominieren die negativen Aspekte von Glückspielanbietern als Sponsoren im Fußball. Ich bin selbst zwar ein großer Freund davon, hin und wieder ein paar Euro zu verwetten, allerdings zieht der Fußball viele junge Leute an, die ein Produkt angepriesen bekommen, welches am Ende mehr Leid als Freude bringt. Verbieten müssen wir Glücksspiel deswegen nicht, allerdings sollte auf Werbung verzichtet werden. Dabei gehe ich davon aus, dass bis zu einem wirklich großen Skandal niemand freiwillig “Nein, danke!” sagen wird. Auch DFB, UEFA und Co. werden nicht von heute auf morgen ihr moralisches Verantwortungsbewusstsein entdecken, so dass am Ende der Gesetzgeber gefragt sein wird. Ähnlich wie bei Tabak und Alkohol kann der Staat dem Produkt in der Öffentlichkeit weniger Präsenz erlauben und zu umfangreicher Aufklärungsarbeit verpflichten, allerdings befürchte ich, dass die Lobby dafür noch zu klein und bis dahin viel Sensibilisierungsarbeit notwendig ist. Am Ende scheint es plausibel, die kritischen Fans in die Pflicht zu nehmen, die auch schon in der Vergangenheit bei Sponsoren aus anderen Wirtschaftsbereichen ihren Unmut ausgedrückt und damit einen kritischen Diskurs eingeleitet haben. Vielleicht stellt sogar dieser Debattenbeitrag den Anstoß einer Diskussion dar.

Autoreninfo: Autor Stephan Simann ist Mathematiker und wettet wider besseren Wissens hin und wieder auf den SC Paderborn 07. Er verarbeitet die Geschehnisse um den Sport-Club auf schwarzundblau.com.



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